DIE PULSADER KYOTOS: DER KAMOGAWA
von Suzanna Kurtek
 

Selbst wenn man nur ein paar kurze Tage in Kyôto verbringt, kommt man an dem Wahrzeichen Kyôtos nicht vorbei: dem Kamo-Fluß, der Pulsader, die sich Y-förmig durch Kyôto zieht.

Der aus dem Süden kommende Katsurafluß teilt sich in drei Strömungen, wovon der östliche Fluß der Kamogawa ist. Bis zu der Y-förmigen Gabelung in der Höhe der Demachiyanagi-station heißt der Kamogawa der Wildenten-Fluß, und wahrlich: hier sieht man u.a. auch ein paar Enten vergnüglich im Wasser plantschen und sich an dem Fischbestand laben.

An der Gabelung wird der Wildentenfluß zum Kamogawa und Takanoganwa. Wir gratulieren dem Fluß, daß er hier von üppig gewachsenen Sträuchern umgeben ist!

Wenn man auf der Sanjô-Brücke steht, dann hat man den Blick auf eine zu großen Teil zubetonierte Uferlandaschft, doch je nördlicher man den Fluß entlangläuft, umso natürlicher und wildbewachsener wird er.

Die Kyotoer lieben ihren Fluß. Denn ohne ihn wäre Kyôto eine (abgesehen von den unzähligen Tempeln und Schreinen) ganz normale Stadt: ein Moloch aus vielen häßlichen Häusern und wirren Kabelkonstruktionen, die sich wie Schlangen über den Köpfen der Passanten rekeln.

Er pulsiert gen Süden und jemand hat gesagt, jede Bewegung ist voller Leben, voller Energie. Und mit den Bäumen, die zwar spärlich, aber dennoch vorhanden sind, ist er auch die Lunge der Stadt. Jeder Spanziergang sichert Erholung.

Uns Europäer wird gelegentlich der Autolärm daran erinnern, daß wir uns noch mitten in der Stadt befinden, aber die Japaner, die es verstehen, Geräusche erfolgreich zu ignorieen, werden sich der Illusion ergeben, in einer anderen Welt zu sein.

Und wahrlich, es ist eine andere Welt. Wer es versäumt, mehr als nur einen Blick auf den Fluß zu werfen, dem wird ein großer Teil der Kultur Kyôtos entgehen.

Der Sommer am Kamogawa

Im Sommer sieht man mit den ersten Sonnenstrahlen Opis und Omis hier entlangspazieren oder -laufen, eine sicher nicht nur gesundheitlich bedingte Aktion. Die Omis sind natürlich mit feschen Hüten ausgestattet, als Sonnenschutz oder Windschutz oder wegen der Mode (ein Geheimnis, daß erst mit dem Alter preisgegeben wird).

Die ersten Jogger, in perfekter Ausrüstung: wenn schon denn schon.

Und auch Hunde mit ihren Besitzern (wer führt hier wen aus?). Die Besitzer halten natürlich ein unscheinbares Täschen in der behandschuhten Hand: das Obligatorio: Schaufel, Tüten und Taschentücher, um das Verdaute ihrer Lieblinge nicht den natürlichen Verwesungsprozessen hinzugeben, sondern fein säuberlich zu entsorgen, ausschließlich in den hauseigenen Müllbehältern. (Hervorzuheben ist, daß die Hunde - wie die Japaner -kaum aggressiv sind, sondern eher schüchtern.) Und dann findet man auch ein paar durchnächtigte Liebespärchen, meist Ausländer, die sich nicht schämen, ihre Zuneigung öffentlich den Frühaufstehern zu präsentieren (falls sie nicht des Nachts von Neidern oder Dieben angefallen wurden, was gelegentlich schon passiert ist).

Mit den ersten Sonnenstrahlen, die romantisch hinten den Hügeln und Häusern aufblinzeln, sieht man unter einigen Brücken auch die Quartiere der Obdachlosen: Pappkartons, allerdings nicht so bunt wie in Tôkyô-Shinjuku. Eher blass und oft von Taubenkot umgeben, die auch Schutz unter den Brücken suchen.

Wahrlich kein schöner Anblick.

Allerdings begegnet man nur selten den Obdachlosen.

Manchmal sieht man eine Gruppe etwas verwahrloster älterer Männer in der Nähe der Brücke Go spielen. Ob das die Obdachlosen sind?

 

Das Hotel Fujita und die französische Brücke

Auffüllig ist das Hotel Fujita, zwischen der Oike und Marutamachi-Straße. Ein großer häßlicher Klotz, der nicht so recht in die Landschaft der eher kleinen Häuser paßt. Und fragt man Japaner, dann erinnern sie sich, daß es gegen den Bau viele Proteste gegeben hat, vor allem wegen der Höhe, die den Blick auf die Berge und damit auf die brennenden Schriftzeichen des Daimonji-Festes versperren würde. Doch inzwischen stört sich niemand mehr dran, im Gegenteil: auf der Bierterasse des Hotels laben sich die Gäste an der Aussicht und am Buffet.

Und sie haben ein neues Projekt bekommen, gegen das sie ihre Stimmen erheben können: der Bau einer Brücke zwischen der Sanjô und der Shijô. Wäre ja nicht so schlimm, wenn es nicht eine französische wäre! Wie kann man gerade an einem von traditionellen japanischen Häusern umgebenen Ufer eine französische Brücke bauen!? Stilbruch, schimpfen viele. Ist es wegen des Frankreichjahres in Kyötö oder wegen des Sieges der Franzosen bei der Fußball-WM (ach nein, der Sieg kam ja später als die Entscheidung über die Brücke).

Den Japanern ist alles zuzutrauen, denn wie kann man im Zuge der Verschönerung das ganzen Ufer komplett zubetonieren?

Ereignisse an der Sanjô-Brücke

Scheinbar stören sich die Liebespärchen nicht daran, sie haben ja auch Wichtigeres zu tun, wenn sie sich am Flußufer um die Sanjô brücke niederlassen. Fein säuberlich, wie auf einer Perlenschnur aufeinandergereiht, sitzen sie im gebühren den Abstand zum nächsten Pärchen, die Mutigen eng ineinander verschlungen.

Wenn man eine Weile auf der Sanjôbrücke steht, trifft man die eine oder andere vorübergehende Person, die verlegen über ein knutschen des Pärchen kichert.

Und wenn man niemanden zum Knutschen findet, dann kann man im Sommer ein Feuerwerkskörperset im Supermarkt kaufen (das beste gibt es bei 7/11) und es mit Freunden am Fluß in die Luft schießen.

Der Fluß leidet hier ganz besonders an dem vielen Schmutz, nicht nur vom Feuerwerk, sondern auch von Getränkedosen und Obento-Plastikschalen. Und abends breitet sich unter der Sanjôbrücke ein beissender Uringeruch aus. Die Herren markieren ihr Territorium.

Der Kamogawa bietet für jeden etwas. Genug zu bestaunen gibt es immer: die Angler, die Outdoor-Veranstaltungen (Barbecue, Kompa ... ), die übenden Musiker und Sänger, die mit dem Gesicht zur Brückenwand bizarre Stimmübungen machen (oder beten sie die Brücke an?).

Die Schildkröten aus Beton, die einen trockenen Übergang über den Fluß oder einen Sonnenplatz sichern.

Der Kamogawa. Wenn er erzählen könnte, welche Anekdote würde er uns zum Besten geben?

Aktualisiert: 10.05.2001   |   Kontakt: Webmaster  |  © japonet 2001