Wie erfahren Japaner die Globalisierung? Japaner im Ausland - Ausländer in Japan
von Roland Knorren
 

In diesem Artikel möchte ich einen Aspekt eines vielzitierten Themas aufgreifen: der Globalisierung. Es soll aber nicht in erster Linie um wirtschaftliche oder politische Belange gehen, sondern darum, wie einzelne Japaner die Auswirkungen der Globalisierung persönlich erleben. In welcher Art haben Japaner die Möglichkeit, fremde Länder und Menschen kennenzulernen? Wieviele Japaner lernen auf Reisen oder beruflich andere Länder kennen? In weicher Form haben Japaner die Möglichkeit, Menschen anderer Länder in Japan kennenzulernen? Wie steht es um die persönlichen Beziehungen der Japaner zu Menschen aus den Ländern Asiens, Amerikas oder Europas? Diesen Fragen will ich im folgenden Artikel nachgehen. Es soll dabei um die Möglichkeiten des persönlichen Kontakts mit fremden Kulturen gehen, nämlich in Form von Aufenthalte von Japanern im Ausland und von Ausländern in Japan.

Wie viele Japaner machen die Erfahrung eines Auslandsaufenthaltes auf einer Reise, beim Studium, aus beruflichen Gründen oder gar als permanenten Aufenthalt? Diese Frage wird hier mit Hilfe von Daten und Umfrageergebnissen untersucht, die vom japanischen Außenministerium im „Japan Information Network“ im Internet veröffentlicht wurden.

Im Jahr 1995 reisten über 15 Millionen Japaner als Touristen ins Ausland, also mehr als 10% der Gesamtbevölkerung von 125 Millionen. Die beliebtesten Reiseziele waren dabei die USA (mit fast 5 Mio. japanischen Touristen mit großem Abstand führend), Hongkong, Südkorea, Australien und Taiwan.

Als Studenten waren im Jahr 1996 180.000 Japaner im Ausland. Die meisten Studenten wöhlten die USA, Großbritannien und China für ihren Auslandsaufenthalt. Nach Kontinenten aufgeteilt studierten 53% in den USA, 23% in Europa und 16% in Asien. In Deutschland studierten mit etwa 4.000 Japanern nur 2% der Auslandsstudenten.

Eine längere Zeit im Ausland lebten 1996 etwa 760.000 Japaner. Davon hatten 35% eine permanente Aufenthaltsgenehmigung im Ausland, die restlichen 65% waren für einen längeren Aufenthalt da, z.B. aus beruflichen Gründen. Die Zahl der Japaner mit permanenter Aufenthaltsgenehmigung ist seit 1985 fasst konstant geblieben, während sich die Zahl der nur vorübergehend im Ausland lebenden Japaner seitdem mehr als verdoppelt hat. Der Grund dafür ist sicher im verstärkten Engagement der japanischen Firmen im Ausland und der Versetzung vieler japanischer Angestellter ins Ausland für eine begrenzte Zeit zu sehen. Die meisten Japaner lebten in den USA, in Brasilien und in Großbritannien. In Nordamerika lebten 40%, in Asien 20% in Westeuropan 18% und in Südamerika 15% der Japaner im Ausland.

Welche Eindrücke verbinden die Japaner nun mit diesen fremden Ländern? Welchen Ländern gegenüber haben die Japaner positive Gefühle, welchen Ländern fühlen sie sich am nächsten? Die Frage, ob sie zu den folgenden Ländern positive oder im allgemenen positive Gefühle haben, bejahten bei den USA 74% der Befragten, bei den Ländern der EU 49%, bei China 46% und bei den ASEAN-Ländern 38%. Diese Antworten sind wohl nicht erstaunlich, da sie sicher zu einem gewissen Maße die heute bestehenden wirtschaftlichen und politischen Bindungen Japans widerspiegeln.

Interessanter sind die Umfrageorgebnisse einer vergleichenden Studie über Werte, die vom Dentsu Institute for Human Studies in den Jahren 1996/97 in Japan, China, Thailand, Singapur, Indonesien und Indien durchgeführt wurde („Comparative Analysis of Global Values“). In den einzelnen wurden mehrere hundert Personen unter anderem dazu befragt, mit welchem Land sie sich vertraut fühlen und welche anderen Nationalitäten Kulturen und Persönlichkeitsmerkmale aufweisen, die dem eigenen Land ähnlich sind. Während die anderen asiatischen Länder bei der Frage noch vertrauten Ländern an erster Stelle asiatische Länder nannten (Singapur, China, Malaysia, Japan, Hongkong und erst an sechster Stelle die USA), setzten die Japaner westliche Länder an die Spitze (USA, Großbritannien, danach China und Singapur). Bei der Frage nach anderen Ländern, die ähnliche Kulturen und Persönlichkeiten aufweisen, votierten 41% der Japaner für „kein Land“, danach wurden asiatische Länder genannt (Südkorea 32%, Taiwan 27%, China 22%). Diesen Ergebnissen zufolge herrscht also in Japan das Gefühl vor, eher mit westlichen Ländern als mit anderen asiatischen Ländern vertraut zu sein.

Warum antworten wohl die meisten Japaner, daß kein anderes Land eine ähnliche Kultur und Persönlichkeitsstruktur habe wie Japan? Woran kann man die von den Japanern empfundenen kulturellen Unterschiede festmachen? Sicher ist die Durchdringung mit amerikanischer Kultur und der Kontakt mit Amerikanern in Japan stärker als in anderen asiatischen Ländern. Aber wie stark hat sich dieser Kontakt mit der westlichen Kultur in der japanischen Gesellschaft niedergeschlagen? Haben sich die Werte in Japan von den traditionellen asiatischen Werten wegbewegt?

Die oben genannte Studie gibt einige Hinweise in dieser Richtung. Danach befragt, womit sie in den nächsten fünf Jahren ihre Zeit verbringen möchten, stand bei den Japanern Hobby/ Freizeit an erster Stelle, danach folgten Familienleben, soziale Kontakte und erst an vierter Stelle die Arbeit. Bei den anderen asiatischen Ländern standen fast einheitlich die Familie an erster Stelle und die Arbeit an zweiter Stelle. Die gleiche Tendenz weist die Antwort auf die Frage auf, was das

Leben lebenswert macht: hier antworteten die anderen Asiaten einheitlich mit Familie und Arbeit auf den ersten beiden Stellen, wohingegen bei den Japanern die Familie an erster Stelle, die Arbeit aber erst an fünfter Stelle kam. Diese Tendenz ist vielleicht einfach aus dem wirtschaftlichen Erfolg Japans und nicht so sehr aus einer Annahme westlicher Werte zu erklären. Die Japaner haben offensichtlich nach einer langen Phase wirtschaftlichen Wachstums ein so hohes Niveau an Wohlstand erreicht, daß sie im Gegensatz zu den anderen asiatischen Ländern die Ar beit nicht,mehr als zentralen Punkt im Leben ansehen.

Störkere Hinweise auf einen wirklichen Wertewandel zeigen die Fragen nach Gruppenorientierung oder

Individualismus. Gruppen orientierte Werte wie der „Einsatz für andere und für die Gesellschaft“ und die

„Freude an der Zusammenarbeit auf gemeinsame Ziele hin“ erhielten in Japan nur etwa 40% bzw. 30% Zustimmung, während die anderen Länder diese mit 84% deutlich befürworteten.

Innerhalb Japans zeigt sich der Wandel hin zu individualistischen Werten ganz deutlich als ein Wandel, der mit der jungen Generation zu sammenhängt. Die Frage nach dem „Einsatz für andere und für die Gesellschaft“ erhielt in Japan in der Gruppe der 50-69-jährigen noch von 55% Zustimmung, in der Gruppe der 18-29-jährigen nur noch von 33%. Umgekehrt war es bei individualistischen Werten wie bei der

Frage nach der Bedeutung des eigenen Privatlebens oder ob man das Leben genießen solle. Hier zeigt sich neben dem gewachsenen Wohlstand ganz sicher auch der Einfluß westlicher Werte, denen die Japaner nach dem Krieg in immer stärkerem Maße begegnet sind.

Es gibt aber auch eine gegenläufige Tendenz, die die Bedeutung der Begegnung mit westlichen Ländern und Menschen w e n i g e r wichtig werden läßt. Globalisierung bedeutet in letzter Zeit für die Japaner immer mehr Asianisierung.

Abgesehen von wirtschaftlichen Maßstäben wie dem Niveau von Außenhandel und Direktinvestitionen ist dies auch gemeint im Sinne von gegenseitigen persönlichen Kontakten, Besuchen und dem Interesse für die andere Kultur. Das Interesse an anderen asiatischen Ländern ist in Japan in den letzten Jahren enorm gestiegen. Das betrifft Filme, Musik, Reisen und ausländische Küche.
Vor allem bei jungen Leuten erfreuten sich in letzter Zeit Länder wie Hongkong, Taiwan, die Länder Südostasiens und Indien großer Beliebtheit. Viele junge Japaner übernehmen damit nicht das meist negative Image, das andere Asiaten oft in Japan genießen. Dieses wird im Zusammenhang mit den in Japan lebenden Ausländern unten noch angesprochen.

Nach der Frage nach den Möglichkeiten von Japanern, persönlich im Ausland andere Länder kennenzulernen, soll jetzt noch kurz die Frage nach den Ausländern in Japan angesprochen werden. Obwohl die Japaner gerne und oft ins Ausland reisen, ist das Verhältnis zu den in Japan lebenden Ausländern oft problematisch.

Die große Mehrzahl der in Japan lebenden 1,4 Millionen Ausländer.sind Koreaner (47%), Chinesen (160/o) und Brasilianer (14%). Die meisten Koreaner sind Nachfahren von Koreanern, die zur Zeit der japanischen Koloniaiherrschaft in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts nach Japan gekommen sind. Viele dieser Koreaner, die oft schon in zweiter oder dritter Generation in Japan leben, fühlen sich in der japanischen Gesellschaft Benachteiligungen ausgesetzt, worauf hier aber nicht genauer eingegangen werden soll. Die Brasilianer sind größtenteils Nachfahren von japanischen Auswanderern, die zu Beginn des Jahrhunderts nach Südamerika ausgewandert sind.

Problematisch ist vor allem die Situation der in Japan arbeitenden Ausländer. Im Hinblick auf die Erteilung von Arbeitsgenehmigungen für ausländische Arbeiter ist die japanische Regierung .sehr restriktiv. Unter den in Japan lebenden Ausländern sind nur etwa 100.000, die dort offiziell arbeiten. Zu den legalen Arbeitskräften kommen aber noch schätzungsweise 300.000-500.000 illegale Arbeitskräfte, die oft sogenannte 3-d-Arbeiten verrichten - dirty, dangerous, difficult. Die offizielle japanische Leitlinie ist, unausgebildeten ausländischen Arbeitern keine Arbeitserlaubnis in Japan zu erteilen. Das steht aber im Widerspruch zum Bedarf an Arbeitskräften vor allem der kleinen und mittleren Unternehmen. Die offiziellen Richtlinien werden dadurch unterlaufen, daß ungelernte Arbeitskräfte entweder unter dem Deckmantel der Ausbildung, des Studiums oder auch ganz illegal mit Hilfe von Schleppern nach Japan kommen.

Diese illegalen Arbeitskräfte stehen natürlich in Japan vor großen Problemen. Da sie keinen legalen Schutz genießen, worden sie leicht Opfer von Verbrechen, oft von organisierten Banden ihrer eigenen Landsleute. Berichte über Verbrechen etwa der chinesischen Mafia, die sich auch häufig gegen illegal in Japan lebende Landsleute richten, haben in der japanischen Öffentlichkeit in letzter Zeit Anlaß zur Sorge gegeben und zeigen für viele Japaner die dunklen Seiten der Globalisierung und Internationalisierung.

Als Zusammenfassung der Auswirkungen der Globalisierung im persönlichen und gesellschaftlichen Bereich lößt sich sagen, daß die .Japaner in immer größerem Maße Möglichkeiten des Kontakts mit Ausländern sowohl im Ausland als auch in Japan erfahren. In der Gesellschaft läßt sich der Einfluß der zunehmenden Internationalisierung etwa an einer Veränderung weg von gruppenorientierten hin zu individualistischen Werten verfolgen. Kontakte zu asiatischen Ländern haben in letzter Zeit stark zugenommen und werden sicher in Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen.

Aktualisiert: 10.05.2001   |   Kontakt: Webmaster  |  © japonet 2001